Gemeinsame Pressemitteilung vom Flüchtlingsrat Berlin e.V., XENION – psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V., unterstützt vom BZSL – Berliner Zentrum für selbstbestimmtes Leben e.V.

Berlins Innensenator ohne Gnade: Sammelabschiebecharter nach Armenien – Familientrennungen, Abschiebung von Menschen mit Behinderung und pflegender Angehöriger 

Flüchtlingsrat, Xenion und BZSL fordern Rückholung der Abgeschobenen 

Trotz der anhaltenden globalen Pandemie hält Innensenator Geisel unvermindert an Abschiebungen aus Berlin fest. Dabei erreichen Flüchtlingsrat und Beratungsstellen vermehrt Berichte, die an jeglicher Humanität beim Vollzug der Abschiebungen zweifeln lassen.

Das dem Innensenator unterstellte Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) hat am 31. März 2021 federführend einen bundesweiten Sammelabschiebeflug nach Armenien organisiert. Die psychosoziale Beratungsstelle XENION hatte erst 14 Tage zuvor für den 30jährigen Herrn P. mit einer körperlichen Behinderungeine barrierefreie Wohnung gefunden. Er konnte dort endlich mit seiner Mutter, Frau S., zusammenleben, die ihn zu Hause pflegte. Zuvor war er in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Erst eine Woche vor der Abschiebung hatte Frau S. vom LEA eine Arbeitserlaubnis für einen Minijob in einer Arztpraxis erhalten.

Zwischen 5 und 6 Uhr morgens des 31. März zertrümmerte die Polizei die Wohnungstürundholte die 55jährige Frau S. ab. Ihr  Sohn steht seitdem unter Schock und befindet sich in psychologischer Behandlung. Er war für seine alltäglichen Verrichtungen auf die Hilfe seiner Mutter angewiesen und infolge der Abschiebung zunächst komplett ohne Pflege und Versorgung. Niemand fühlte sich verantwortlich. Inzwischen konnten durch das Engagement von XENION ein Pflegedienst und eine Einzelfallhilfe eingesetzt werden. Die abgeschobene Mutter ist in Armenien ohne Bleibe und ohne jede Perspektive.

Am gleichen Tag ließ das Berliner Einwanderungsamt auchdie66jährige chronisch kranke Frau J. abschieben,die außerdem eine körperliche Behinderung hat. Sie lebte in einer Wohnung mit ihrer Tochter, ihrem Enkel, ihrem gehörlosen Sohn und ihrer gehörlosen Schwägerin. Ein psychiatrisches Attest aus Juli 2020 bestätigt u.a. Diabetes, eine medikamentös behandlungsbedürftige psychische Erkrankung sowie kognitive Einschränkungen, weshalb Frau J. auf Anleitung und teilweise Übernahme bei Verrichtungen des alltäglichen Lebens durch ihre Angehörigen angewiesen ist. Das Attest bestätigt krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit für 6 Monate.

Frau J. hatte es nicht mehr geschafft, sich um ein aktualisiertes Attest zu kümmern. Sie wurde am 31. März in den frühen Morgenstunden von der Polizei abgeholt. Ihre gehörlosen Angehörigen wurden brutal aus dem Schlaf gerissen – sie stehen unter Schock. Frau J. musste dafür kämpfen, dass ihr erlaubt wurde, ihren Pyjama in Tageskleidung zu wechseln. Sie wurde in ihrem Rollstuhlim eigens von der Polizei mitgebrachten behindertengerechten Transporter zum Flughafen gebracht. Frau J. ist in Armenien mittel- und obdachlos und ohne medizinische Versorgung. Sie hat keinen Zugang zu den für sie lebensnotwendigen Medikamenten gegen ihre psychische Erkrankung, gegen Bluthochdruck und zum Insulin.

Mit demselben Charter wurde auch eine Familie aus Ludwigshafenabgeschoben. Ein minderjähriger Sohn blieb alleine zurück, er wird seither vermisst, die Presse berichtete.

„Wir sind entsetzt über die Grausamkeit der Abschiebungen, die nur die Spitze des Eisberges darstellen. Die von Innensenator Geisel verantwortete Praxis der gnadenlosen Abschiebung Kranker und Menschen mit Behinderung und der gewaltsamen Trennung von ihren pflegenden Angehörigen widerspricht jeglichen humanitären Grundsätzen“, so Nora Brezger, Sprecherin des Flüchtlingsrat Berlin.

Für Frau J. besteht akute Lebensgefahr in Armenien. Frau S. muss ermöglicht werden, ihren Sohn zu pflegen, der auf ihre Hilfe angewiesen ist.

Wir fordern Innensenator Geisel auf, Frau J. und Frau S. sofort zurück nach Berlin zu holen.

Wir fordern einen sofortigen Corona-Abschiebestopp, insbesondere in Länder, in denen die Gesundheitsversorgung nicht bzw. nicht mehr angemessen funktioniert.

Pressemitteilung als pdf hier.

Pressekontakt: Flüchtlingsrat Berlin e.V., Tel.: 030 224 763 11, Mail: buero@fluechtlingsrat-berlin.de